Dolf Bissinger

Mexikanische Reminiszenzen

 

Kooperation im Rahmen des Ausstellungsprojektes  KUNSTAUSTAUSCH

Ausstellung in der Villa Ichon Bremen 2012

Gloria del Mazo ( Spanien/Deutschland ) Malerei und Dolf Bissinger ( Mexiko/Deutschland ) analoge Fotografie

In ihrer Arbeit kombinieren die Künstler Malerei und Fotografie mexikanischer Motive. Gloria del Mazo malt Fragmente traditioneller mexikanischer Textilien und Dolf Bissinger stellt vierzehn von ihm 1959 aufgenommene, aber bisher nie vergrößerte Fotos, zu sieben Diptychen zusammen. Die Arbeiten beziehen sich in Inhalt, Format und Zusammenstellung aufeinander. Gloria del Mazo ist eine spanische Künstlerin, Dolf Bissinger ist ein deutscher Künstler der in Mexiko aufgewachsen ist. Beide leben und arbeiten in Deutschland. Die Tradition der mexikanischen Volkskunst, die sich in Textilien, Fliesen, Töpferware und Anderem findet, ist ein Ergebnis nativer und spanischer Einflüsse. Das „spanische" ihrer Farb- und Formensprache geht oft auf maurisches aus dem andalusischen Spanien zurück. Also ein weit gespannter "Kulturtransfer", der sich hier materialisiert. Die Alltagsszenen auf den Fotos zeigen Menschen in einer Lebenswirklichkeit, die ebenso indianischen Wurzeln entspringt, als auch "Zivilisierungsfolge" spanischer Kolonialherrschaft ist. Bilder, welche die erinnerte Welt des Autors zeigen, aber auch im heutigen Mexiko zu finden sind. Ein Land in dem noch heute der Zusammenstoß seiner Ursprungskultur mit der europäischen deutlich spürbar ist. Mit den Mitteln der Malerei und der Fotografie wollen die Künstler diesen Hintergrund aufzeigen und mit ihrer eigenen Biografie verbinden.

Malerei: 4 Tafeln, Acryl auf Leinwand, davon je zwei 40 x 60 cm und 30 x 80 cm

Fotogafie: 7 Diptychen aus 14 analogen schwarzweiß Fotos hinter Echtglas montiert, je 30 x 40 cm

ca. 180 x 650 cm

 

Tilman Rothermel, Kurator

Lichtflecken

 

Gedenkstätte zur Erinnerung an die Deportation Frankfurter Juden

Wettbewerbsbeitrag Frankfurt am Main 2010, Bissinger, Bommert, Stridde

Zunächst erkennt man in den Grünanlagen am Mainufer eine leicht aus dem Gelände ragende dunkelgraue Betonplatte von zwölf Metern Kantenlänge mit einem umlaufenden Streifen aus begehbaren Glasplatten.

Darunter befindet sich das eigentliche Mahnmal. Seine Lage bezieht sich auf die Richtung der alten Transportgleise vor der Großmarkthalle. Eine sich langsam absenkende Rampe führt zu seinem Fußpunkt in 11 Metern Tiefe. Hier betritt der Besucher einen hohen halbdunklen kubischen Raum, in dem unzählige Lichtpunkte zu schweben scheinen. Nur gedämpftes Tageslicht dringt durch die schmalen Glasplatten von oben in den Raum. Ein schmaler Umgang entlang der hohen dunklen Betonwände führt um eine raumhohe gitterförmige Lichtskulptur von 10 x 10 x 10 Metern, in deren orthogonale Struktur viele kleine Leuchten eingelassen sind, die sich unendlich in den transparenten horizontal und vertikal eingelegten Glasscheiben spiegeln.

Ein ortloses Scheinen in einem dunklen Raum.

Licht wird hier als vielfältige Metapher verstanden, steht für Geist und Energie und kann als eine Darstellung vergangener Seelen aufgefasst werden.

Die Skulptur- ein Raum erleuchteter Leere.

Gegenüber dem Zugang, in der Flucht der Rampe, verlässt man das Mahnmal über eine lange podestfreie Treppe und erreicht nach einigen Metern wieder den Weg in den Grünanlagen. Im Bereich der beiden Zugänge zur Skulptur befinden sich Schrifttafeln mit den für sich sprechenden Daten der Deportationen.

 

Bissinger, Bommert, Stridde

Geld wie Sand

 

Ein Projekt zur Eröffnung der Kulturkirche in Bremen 2007

von Bissinger, Bommert, Stridde ( Musik Ingo Ahmels )

Das handelnde Kunstwerk

Dolf Bissinger, Henri Stridde, Jens Bommert haben in der Stephani-Kirche, direkt unter der Vierung, eine hundert Tonnen schwere Pyramide aus Sand errichtet. Die Spitze der Pyramide zeigt unmittelbar auf den Scheitelpunkt der Vierung.

Das Konzept ist auf den ersten Blick ein ungewöhnlicher Eingriff in einen christlichen Raum. Die Provokation löst jedoch sofort Assoziationen aus, die religionsübergreifende Aspekte beinhalten. Die Vierung ist in der kreuzförmigen christlichen Kirche ein zentraler, klassischer Ort des Gebetes. Um ihn herum wurden bis ins 18. Jahrhundert Bischöfe, Kleriker und wichtige, der Kirche nahe stehende Bürger begraben.

Die Pyramide wurde über dem Grab des Pharaos errichtet. Nach der ägyptischen Vorstellung konnte er von seinem Grab aus – „als Lebender“ – sich an die Spitze der Pyramide begeben und damit den Sternen und den Göttern besonders nah sein.

Vierung und Pyramide sind Räume der Transformation. Konsequent haben die Künstler sie ausgewählt, um ihre Metamorphosen zu realisieren. In einem ersten Schritt animierten sie Kinder, versteckte Münzen in der Pyramide zu suchen; eine solche Schatzräuberei in Pyramiden war auch im alten Ägypten die Regel. In einem weiteren Schritt wurde der amorphe Sandhaufen in ein meditatives Feld verwandelt. Spender und Sponsoren verschleuderten am Ende ihr Geld in dieses Sandfeld und reaktivierten damit den Prozess. Aus den einzelnen Handlungsphasen entstand ein Kreislauf, der potenziell immer wieder neu beginnen könnte. Die Musik von Ingo Ahmels verbreitete sich über das gewellte Feld und erfasste von hier aus den gesamten Kirchenraum.

Das Projekt „Pyramide" steht in der Tradition des Gesamtkunstwerks. Das Bildnerische, die Metamorphose und die Musik durchdrangen sich. Eindringlich wurden unterschiedlich religiöse und pseudoreligiöse Ideologien und Vorstellungen verzahnt. Die ägyptischen und christlichen Jenseitsvorstellungen, das zen-buddhistische Nirvana und die oft zerstörenden kapitalistischen Bewegungsgesetze bildeten zusammen eine Einheit und behaupteten gleichzeitig ihre Bedeutungshoheiten. Eine „unio mystica“ oder synkretistische Ziele wurden nicht angestrebt. Die Formen verändernten und bewegten sich und bildeten unterschiedliche skulpturale Formen. Der Kirchenraum, der nur noch zeitweilig für den Gottesdienst genutzt wird, gewann auf diese Weise eine neue, temporäre kultische Funktion. Die besondere künstlerische Leistung bestand vor allem darin, dass hier nicht ein Kunstwerk isoliert in den Raum gestellt wurde. Im Gegenteil, in allen unterschiedlichen Phasen wirkte es so selbstverständlich wie früher ein Retabel auf dem Altar.

 

Dr. Hans-Joachim Manske

Hochstrasse tieferlegen

 

Ein Stadtkunst - Projekt

von Dolf Bissinger und Henri Stridde

Bremer Kunsthalle - Kunstfrühling 2005

Tieferlegen ist etwas, das manchen Autos widerfährt. Autostraßen tieferlegen ist etwas Selteneres. Den künstlerisch-städtebaulichen Vorschlägen von Dolf Bissinger und Henri Stridde gemäß soll ein solch seltenes urbanistisches Tuning in Bremen durchgeführt werden. Es betrifft die dortige Hochstraße, jene aufgeständerte Straße zwischen Rembertiring und Nordwestknoten. Sie soll umfunktioniert werden, auf ökologische Art recycelt oder technisch bzw. pyrotechnisch abgerissen werden, um sie durch einen baumbestandenen Boulevard zu ersetzen.

Vor ihr Plädoyer für einen möglichen Soll-Zustand haben Dolf Bissinger und Henri Stridde die Untersuchung des Ist-Zustandes gesetzt. In der Manier von Ed Ruschas „Every Building on Sunset Strip“ haben sie die Hochstraße Stück für Stück von beiden Seiten fotografiert. Foto für Foto haben sie nebeneinander gefügt und so die Hochstraße en miniature collagiert. Die Collagen beider Seiten sind nichtsdestotrotz wandfüllend. Sie messen pro collagiertes Stück etwa einen halben mal zehn Meter. Die originale Hochstraße hat eine Länge von etwa einem Kilometer und verläuft etwa auf Höhe des zweiten bzw. dritten Stocks der angrenzenden Häuser. Die Collagen zeigen, wie sehr die Hochstraße als Sichtblende aus Stahlbeton den Blick auf die angrenzenden Bauten verstellt. Sie zeigen, dass ältere Gebäude sich der Hochstraße nicht zu schämen scheinen. Viele Fenster sind wie interessierte Augen auf die Hochstraße gerichtet. Ein jüngerer Bau wie das Cinemaxx scheint dagegen die in die Jahre gekommene Straße ignorieren zu wollen. Er wendet der Hochstraße als einzige Öffnungen Notausgänge zu. Einen solchen Blickwechsel vom Optimismus zum Pessimismus konstatiert Franz Rosenberg, ehemaliger Senatsbaudirektor, mit folgenden Worten: „Für die Hochstraße als Bauwerk war eine formal elegante Form gefunden worden, und die entlastende Funktion für den Bahnhofsvorplatz war evident. Trotzdem war ich entsetzt, als ich die Hochstraße zum ersten Mal befuhr, denn von einem Raumerlebnis konnte keine Rede sein, weder für den Autofahrer oben auf der Hochstraße noch für den Verkehrsteilnehmer auf dem Straßenniveau des Breitenweges. Es war ein schmerzlicher Mißerfolg, und es gab keine Entschuldigung, ich hatte mich vollkommen getäuscht, und daß ich mich in guter und zahlreicher Gesellschft befunden hatte, war kein Trost.“ Den Fotos des Ist-Zustandes hängt ein Digitaldruck gegenüber eines möglichen Soll-Zustandes. Er zeigt die Hochstraße aus der Luftperspektive als grünen Gürtel. Ideen der Künstler Bert Theis und Hermann de Vries aufgreifend, schlagen Dolf Bissinger und Henri Stridde vor, die Hochstraße mit Erde aufzufüllen und brachliegen zu lassen, auf dass sich die Vegetation wie bei der Bremer „Uni-Wildnis“ selbst organisiert. Mittelfristig überdeckt die Natur so die Architektur in der Art „Hängender Gärten“. Langfristig verleibt die Natur sich die Architektur ein. Ein ökologischer Abriss, der schöner und vermutlich günstiger ist als die mechanische Variante des Abrisses, vermutlich auch günstiger als die Beton-Sanierung. Als weiteren wichtigen Ideengeber führen die Künstler den Schriftsteller Franz Hohler an, der in der Erzählung „Die Rückeroberung“ schildert, wie insbesondere die Fauna mit der Stadt Zürich das macht, was die Flora mit der Bremer Hochstraße machen soll. Die Natur holt, nicht ohne Widerstände von Seiten der Menschen, die Kultur ein, zumindest in Teilen. Dolf Bissinger und Henri Stridde haben „Die Rückeroberung“ lesen lassen und dies aufgezeichnet. Das Video der Lesung präsentieren sie als weiteres Schaustück. Ihr Vorleser ist Bremer. Sein Haus, in dessen Wintergarten er liest, liegt in der Bremer Altstadt. Der Wintergarten als Ort der Lesung ist mit Bedacht gewählt – ein Ort der Architektur auf dem Sprung zur innerstädtischen Natur. Und auch der Vorleser ist mit Bedacht gewählt – Eberhard Kulenkampff, ehemaliger Senatsbaudirektor. Ihn konnten Dolf Bissinger und Henri Stridde gewinnen, weil sie als Urbanisten argumentieren, die differenzieren können. Sie wollen nicht die Natur alles schleifen lassen, sondern wollen nur Schlechtes schleifen, Gutes belassen und Besseres – zugunsten des öffentlichen Raumes – bauen. Ihr viertes Werk ist so eine freie Bleistiftzeichnung für eine mögliche Bebauung des Bahnhofvorplatzbereiches. Dabei zählt der Bau weit weniger als der Effekt der Bebauung auf das Umfeld. Denn durch einen Bau bekommen die Straßen und Plätze der Umgebung ihre senkrechten Grenzen: der Bahnhofsvorplatz; die Bahnhofstraße; der Breitenweg; und der Platz um den Herdentorsteinweg herum. Voraussetzung für die Bebauung des „Tortenstückes“ aber ist vermutlich der Abriss der Hochstraße. So soll sie nicht als Sichtblende aus Stahlbeton die Stadtwanderer stören. Entsprechend zeigt die Zeichnung die Hochstraße schon als tiefergelegte Straße, als baumbestandenen Boulevard.

Auf die Art begründen Dolf Bissinger und Henri Stridde die Notwendigkeit der Umfunktionierung der Hochstraße. Sie geben durch ihr diesbezügliches urbanistisches Projekt ihr Votum ab. Wie die Umfunktionierung sich des Weiteren konkretisieren lässt, überantworten sie öffentlichen Diskussionen. Dolf Bissinger und Henri Stridde schlagen diesbezüglich Anhörungen von Sach- und Fachverständigen aus den Bereichen Stadtplanung, Kunst und öffentlicher Raum sowie Architektur und Freiraumplanung vor. Nebenbei unterlassen sie es nicht, sich in ein radikales urbanistisches Tuning einweisen zu lassen: das Sprengen.

 

Dr. Frank Laukötter

Hochseilrad mit Nicker

 

Wettbewerb Hemmstrasse

3. Preis 1993

Das Wettbewerbsgelände an der Bremer Hemmstrasse ist eine verkehrsreiche Kreuzung. Die beiden Künstler schlagen eine 10 m hohe Hochseil - Skulptur vor, die den Strassenraum überspannt. Hoch über dem Verkehr läuft ein Rad mit einer Art Segel vom Wind angetrieben hin und her und wird von einer Stahlkugel angenickt. Es entsteht ein humorvoll - poetischer Dialog zur Funktion des Rades und der Fortbewegung; aber auch ein Nachsinnen darüber, was im Zeitalter des Automobils daraus geworden ist.

 

Dolf Bissinger, Jens Bommert